Missverständnisse bei Buchübersetzungen

Buchübersetzungen sind ein wichtiger Teil meiner Arbeit. Über die Bedeutung der Terminologie habe ich in meinem Blog schon mal etwas geschrieben – und das alles ist ja immer ein großes Thema. Denn grade bei der Terminologie und dem Übersetzungsstil entstehen die schwerwiegendsten und häufigsten Missverständnisse. Wie sind meine Erfahrungen und was alles muss man beim Übersetzten sorgfältig beachten?

Buchübersetzungen: Zielgruppe definieren

Über die Bedeutung der Terminologie habe ich in meinem Blog schon mal etwas geschrieben – und das alles ist ja immer ein großes Thema. Denn grade bei der Terminologie und dem Übersetzungsstil entstehen die schwerwiegendsten und häufigsten Missverständnisse.

Die sehr wichtige Frage lautet, wer ist das Lesepublikum? Für wen ist das Material oder der Text bestimmt? Unter meinen Kunden habe ich eine Firma aus dem Bereich der Ophthalmologie – es geht daher um Technik, Untersuchungsgeräte, Materialien, Behandlungsvorgänge. Manchmal ist die Aufteilung relativ einfach – die Operationsprozedur oder Bedienungsanleitung für das Gerät und seine Software richten sich natürlich an den Arzt, die grafisch gefälligen Infoblätter sind für die Laien-Patienten gedacht.

Es gab aber Situationen, die nicht so eindeutig waren: sind das Flugblatt oder die Broschüre für die Intraokularlinsen oder „IOL“ für den Patienten oder den Arzt bestimmt? Dieser Tatsache muss man die Auswahl an Terminologie anpassen – und im Streitfall frühzeitig mit dem Kunden klären. Die Vorlage in der Quellensprache ist oft nicht eindeutig geschrieben – und bei falscher Wahl in der Zielsprache kann es ganz einfach zu peinlichen Missverständnissen kommen.

Buchübersetzungen – Terminologie bei Fachbüchern besonders wichtig

Meine größten Erfahrungen stammen jedoch aus der Buchübersetzung. Fachliteratur mit dem Thema IKT und Programmierung, Reiseführer und Reiseberichte, populärwissenschaftliche Literatur zu unterschiedlichen Themen wie Historie, Psychologie, Wirtschaft und Marketing. Mehr als 120 Bücher mit insgesamt mehr als 50 000 Seiten – das ist schon eine umfangreiche Quelle für Erfahrungen, manche auch „mit Blut bezahlt“. Es ist eine spannende und ebenso anspruchsvolle Arbeit. Man darf auch nicht vergessen, dass man dabei nicht alleine ist – und dass die Redaktion oder der Verleger immer das letzte Wort über den Inhalt und den Stil haben. Und das ist wortwörtlich eine unendliche Quelle potenzieller Missverständnisse. Wie kann man sie also vermeiden?

Von IKT über das Projektmanagement sogar bis LEGO: die Terminologie ist das Alpha und Omega

Mein universeller „Geheimtipp“ ist, das Buch nicht zu übersetzen, sondern zu „übererzählen“. Damit die Leser denselben Eindruck kriegen können – und natürlich damit sie auch dieselben Informationen bekommen können.

Buchübersetzungen: Fehler vermeiden

Fehler müssen bei einer Buchübersetzung unbedingt vermieden werden, denn sie fallen sofort auf. Das führt mich an erster Stelle zum Thema Faktendarstellung. Die Informationen und Fakten müssen einfach stimmen, Sinn geben, verständlich sein und dem Usus der Zielsprache oder Zielgegend entsprechen. Ich versuche immer, alle Informationen gegen die in der Zielsprache zusammengestellten Quellen zu überprüfen. Das ist kein Spaß: oft kann man das Gefühl haben, dass dieser Begriff so und so „ungefähr stimmen dürfte“, aber Terminologie darf nicht „ungefähr“ sein.

Viele Sachen, Orte, Pflanzen- und Tierarten, historische Ereignisse und mehr folgen in unterschiedlichen Sprachen ganz unterschiedlicher Logik. (Am schwierigsten finde ich – trotz dem immer häufigen Spruch „English is easy“ – das Englische: es hat ja ganz andere Logik als viele unserer [mittel]europäischen Sprachen!)

Nur die Harten bleiben in Garten – oder in Übersetzung ebenso! Auch bei diesen Büchern musste viel dem Zielleser angepasst werden: Pflanzennamen, Bezeichnung der Gartenwerkzeuge, und mehr

Buchübersetzer beauftragen: Herausforderungen der Fachübersetzung

Was kann das alles in der Praxis bedeuten und was alles habe ich bei meinen Übersetzungen schon angetroffen?

  • Bezeichnungen der Truppeneinheiten im Militär: Infanterie, Fußvolk, oder Landstreitkräfte? Kavallerie, Reiterei, oder die Fahrt? Ausstattung oder Ausrüstung? Waffen oder Gewehr? 
  • Im Kessel oder in der Tasche eingeschlossen? (In Deutsch klingt das zweite Wort vielleicht lächerlich, in meiner Muttersprache und anderen Sprachen wird es jedoch verwendet: man spricht von der „Kesselschlacht von Stalingrad“, aber von der „Taschenschlacht von Colmar“ – franz. Poche de Colmar, engl. Colmar Pocket.) 
  • Pflanzen- und Tierarten: diese muss man oft über das Lateinische zuordnen und bestätigen, anders geht es nicht. Und eigentlich „geht es“ so häufig auch nicht – wenn die Zielsprache keinen Begriff für diese oder jene „exotische“ Art hat. Vielmals habe ich so was bei Meeresfischarten angetroffen – die Tschechen und Slowaken als binnenländische Völker haben hier ein deutliches Handicap und kennen einfach viele Arten gar nicht… 
  • DNA: Ein ziemlich modisches „Buzzword“ namens DNA. „Wir haben den Mut, die Kenntnisse, den Zug zum Tor, alles in unserer DNA…“ Man kann ja dieses internationales Wort (oder Kürzel) ganz einfach in jede Sprache übertragen. Jedoch im Tschechischen, Slowakischen und auch Polnischen bezeichnet DNA eigentlich den Boden – unter anderem im Sinne von „Ich bin am Boden zerstört…“. Lösung? Das Wort „DNA“ womöglich in diesem Kontext vermeiden – und Mut und Kenntnisse lieber „in unserer Genen“ haben. Das klingt auch ganz gut – vielleicht sogar besser. 
  • Politische Themen, politische Korrektheit: hier muss man einfach vorsichtig sein – auch wenn man manchmal gleichzeitig die Botschaft sowie den frechen oder provokativen Stil des Autors behalten muss. 
  • Umstrittene, vulgäre, sexuelle etc. Themen: hier muss man oft die Formulierungen anpassen oder ein bisserl niederdrücken – jedoch wieder nach Absprache mit dem Verleger und im Einklang mit seinen Absichten und Konzepten.

  • Topographie und Exonyme: nach dem Wiktionary ist ein Exonym „ein Name für ein topografisches Objekt in einer anderen Sprache.“

London wird hoffentlich keinen überraschen, auch wenn von Londýn (Tschechisch, Slowakisch, Polnisch), Londres (Französisch, Spanisch, Portugiesisch) oder Λονδίνο (Londino, Griechisch) die Rede ist.

Was ist aber auf Tschechisch „Cáchy“ oder auf Französisch „Aix-la-Chapelle“? Erkennt hier jeder Aachen?

Überrascht jemanden die ungarische Stadt Raab – heutzutage Győr?

Oder München: in mehreren Sprachen hat der Name – ebenso wie im Deutsch – etwas mit Mönchen zu tun (Munich in Englisch, Mnichov im Tschechischen oder Slowakischen). Dann kommt aber Polnisch mit Monachium und Italienisch mit Monaco (genauer Monaco di Baviera, oder „das Bayrische Monaco“)…

Manchmal wechselte eine Stadt unterschiedliche historische Namen, die jedoch heutzutage teilweise empfindlich sind. Ein auffälliges Beispiel ist die Hauptstadt der Slowakei: auf Slowakisch Bratislava, auf Deutsch Preßburg (oder mit slowakischer Aussprache „Prešpork“), auf Ungarisch Pozsony. Die nicht-slowakischen Namen sollten nur in historischem Kontext verwendet werden – insbesondere von den ungarischen Bezeichnungen ist in der Slowakei eher abzuraten, ebenso wie in jedem einst okkupiertem oder erobertem Land.

Im Original „Victory in Europe“, „The Cold War“ und „The Napoleonic Wars“: diese sehr interessant aufgeführten „Museen in Buchform“ (mit angelegten Faksimiles verschiedener zeitgenössischen Dokumenten) waren für mich nicht nur sehr spannend zu übersetzen, sondern auch eine große Schule der Faktendarstellung

Genug aber von fremdsprachigen Ortsnamen. Oft geht es bei Büchern um viel mehr. Offensichtliche Fehler, Tippfehler, Irrtümer, unsinnige Überlegungen und weitere Aussagen sind zu beachten – ebenso wie unterschiedliche Sprüche, Witze, künstlich ausgedachte Worte… Relativ oft (zumindest vielleicht öfter als andere Übersetzer) füge ich daher in den Text „Anmerkungen des Übersetzers“ hinzu, um ggf. Widersprüche zu erklären, um verschiedene kulturkontextspezifische Ereignisse zu erklären, um z.B. auch im Falle von Referenzen auf andere Bücher auf die bereits vorhandene Übersetzung in die Zielsprache aufmerksam zu machen… Das letzte Wort hat jedoch wieder die Redaktion – man darf natürlich nicht den Text, die Botschaften oder Mitteilung des Autors ganz willkürlich ändern.

Buchübersetzungen: Verständlichkeit im Fokus

Wie kann es dann bei so sorgfältiger Arbeit und bei so vielen beteiligten Augenpaaren trotzdem zu Missverständnissen kommen? Gerade aus diesem Grund – wenn jeder das jeweilige Wort, den Satz, Gedanken, die Wendung oder den Witz anders versteht. Wenn ein Glied der Bearbeitungskette eine andere der angedeuteten Möglichkeiten auswählt, inkonsistent ändert, oder sogar auf eine ganz falsche Formulierung überschreibt. Vielmals habe ich so was erlebt. Vermeiden kann man das relativ einfach: erklären, ergänzen, kommunizieren. Nicht nur dem Leser, sondern mithilfe der MS-Word-Kommentare auch den RedakteurInnen – insbesondere bei scheinbar unsinnigen und trotzdem ganz sinnvollen Passagen.

Buchübersetzungen sind doch etwas Spannendes, oder…?

Haben Sie Fragen zu meiner Arbeit oder ein spannendes Projekt? Kontaktieren Sie mich gerne!